Heute vor 10 Jahren, in der Nacht vom 1. auf den 2. Juli 2002, stießen im Luftraum bei Überlingen zwei Flugzeuge zusammen. Es war das größte Flugunglück, das die Region bislang gesehen hatte. Der SWR hat dazu einen Dokumentarfilm gemacht, der das Ereignis anhand von Beteiligten nochmal Revue passieren lässt:
http://swrmediathek.de/player.htm?show=5ed664d0-c024-11e1-849c-0026b975f2e6
Einer der in dem Film auftretenden Helfer sagt, dass den Leuten allen noch bewusst ist, was sie an dem bewussten Abend vor 10 Jahren gemacht haben. Das stimmt sogar in meinem Fall, denn ich hatte das Glück - so muss man sagen -, dass ich am 2. Juli Tagdienst hatte. Damit war ich zu dem Zeitpunkt, als das Unglück geschah, nicht im Dienst. Aufgrund des Umstands, dass ich damals zu weit weg von meiner Rettungswache wohnte, hatte ich auch keinen Funkmelder und konnte von daher nicht direkt alarmiert werden. Trotzdem bekam ich mit, dass etwas Großes passiert sein musste. Das kam so:
An dem Abend hatte ich ferngesehen. Da ich am nächsten Morgen Tagdienst hatte, hab ich mich irgendwann ins Bad aufgemacht, um mich für die Nacht zu richten. Da hörte ich ein merkwürdiges Geräusch, ein lautes Röhren. Ich wohnte damals in der Innenstadt von Überlingen und in den Straßen, die alle von großen Gebäden gesäumt sind, hallte das Geräusch wieder, so als würde irgendein übermotorisiertes Auto mit heulendem Motor durch die Stadt fahren. Später erfuhr ich, dass das das Geräusch der Flugzeuturbinen war, das man noch hören konnte, während die Trümmer bereits vom Himmel fielen.
Schließlich legte ich mich ins Bett. Nachdem ich einmal wegen eines zu leise eingstellten Weckers verschlafen hatte, habe ich es mir angewöhnt, kurz zu kontrollieren, wie laut das Radio eingestellt ist. Ich schaltete den Wecker also ein und es lief gerade ein Lied, das mir gefiel. Welches, das weiß ich nicht mehr. Also ließ ich das Radio laufen, während ich es mir schon in den Kissen bequem machte.
Dann klang das Lied langsam aus und man hörte die Stimme des Radiomoderators: "Hier laufen die Telefone gerade heiß", so was in der Art sagte er, "Hier rufen Leute an und melden einen Flugzeugabsturz bei Überlingen. Wir melden uns gleich wieder."
Was hatte der da gerade gesagt? In dem Moment fiel mir der Lärm in der Stadt auf. Sondersignal. Die Feuerwehr rückte aus. Nach dem nächsten Lied wurden ein paar der Anrufe abgespielt. Leute aus der Umgebung von Überlingen, bis nach Uhldingen rüber, erzählten von dem Feuerball und den glühenden Trümmern, die vom Himmel fielen und die sie gesehen hatten. Dann kam die erste Bestätigung: Ja, ein Flugzeugunglück. Ein Flugzeug sei explodiert.
Ich folgte der Sendung nicht mehr lange. Und mich quasi als Freiwilliger zu melden, um die Sanitätskräfte zu unterstützen, die im Einsatz waren, hatte keinen Sinn. Auf der Rettungsleitstelle würde ich nicht anzurufen brauchen, die hatten alle Hände voll zu tun. Und einfach so zur Rettungswache zu gehen, hätte auch keinen Sinn gehabt, zumal ich nicht mehr beim Roten Kreuz in Überlingen war. Außerdem hatte ich ja am nächsten Tag Tagschicht, und die musste ja auch jemand machen. Möglicherweise wären auch Rettungskräfte von meiner Wache eingesetzt, die ich bei Schichtwechsel ablösen müsste. Und zuletzt: Wäre ich wirklich vonnöten gewesen, hätte meine Rettungswache gewusst, wie sie mich erreicht.
Am nächsten Morgen hatte ich mir den Wecker früher gestellt, damit ich mitbekam, ob man schon mehr wusste. Ja, die Nachrichten brachten schon mehr, berichteten, dass zwei Flugzeuge kollidiert seien und dass man nicht mit Überlebenden rechne. Außerdem sei das Absturzgebiete, das sich von Owingen bis Brachenreute über mehrere Kilometer hinzog, weiträumig abgesperrt. Da sah ich ein kleines Problem, normalerweise wäre ich durch genau das Gebiet zu meiner Arbeitsstelle gefahren. Ich ließ mich überraschen.
Tatsächlich war die Straße in Richtung Owingen abgesperrt, aber zum Glück war die Alternativroute offen. So kam ich zur Tagschicht auf meiner Rettungswache an, wo meine Kollegen die Nacht über auch mit dem Absturz zu tun gehabt hatten und froh waren, heimgehen zu dürfen. Der eine Kollege erzählte, wie sie Stück für Stück mitbekamen, was passiert war. Wie sie Tote direkt an der Straße gefunden und sich gewundert hatten, warum die Leichen so klein sind. Zuerst schoben sie es auf den Aufprall, immerhin fand der Zusammenstoß in großer Höhe statt. Später teilte man ihnen mit, dass das Passagierflugzeug voller Kinder gewesen sei. Dann ging der Kollege nach Hause, erstmal hinlegen und versuchen zu schlafen.
Etwas später kam unsere Schnelleinsatzgruppe zurück, die ebenfalls im Einsatz gewesen war. Mit denen ausgerückt war eine Kollegin von mir, die, als sie mich sah, auf mich zukam und mir erschöpft in die Arme fiel. Die Gruppe war die ganze Nacht unterwegs gewesen und hatte Wiesen und Felder durchsucht.
Es gibt junge Kollegen im Rettungsdienst, die voller Eifer sind und darauf brennen, bei einem Großschadensereignis dabei zu sein. Tatsächlich ist das eine ganz außergewöhnliche Situation, man steht dermaßen unter Adrenalin und arbeitet, was das Zeug hält. Aber irgendwann ist die Situation bereinigt, es tritt Ruhe ein und der Körper fährt wieder runter. Dann erst wird einem bewusst, was gerade los war und was man mitgemacht hat. Und damit fängt das große Nachdenken an. Dann kommt man in die Situation, von der die Helfer in dem Filmbeitrag erzählen. Und manchmal braucht man dann als Helfer selber Hilfe.
Menschen zu helfen ist mein Beruf und extreme Erfahrungen gehören dazu. Aber in diesem Fall bin ich froh, dass das Schicksal / das fliegende Spaghettimonster / wer auch immer dafür gesorgt hat, dass ich bei diesem Einsatz nicht dabei war.
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