Freitag, 30. September 2011

Tim und Struppi: Die Zigarren des Pharaos [Rezension]



1932 begann Hergé die Arbeit an einem längeren Abenteuer, das zunächst den Titel “Aventures de Titin, reporter en Extrême-Orient” (Deutsch: “Die Abenteuer von Tim, Reporter im fernen Orient”). Für die Veröffentlichung als Album wurde die Geschichte in zwei Teile aufgeteilt, “Die Zigarren des Pharaos” und “Der blaue Lotos”. Das ließ sich sehr gut machen, da die Geschichten zwar aufeinander aufbauen, aber die Handlung am Ende von “Die Zigarren des Pharaos” erst einmal abgeschlossen ist.

Handlung: Nach den vergangenen Abenteuern gönnt sich Tim etwas Urlaub in Form einer Mittelmeerkreuzfahrt. Auf dem Schiff begegnet er dem Ägyptologen Professor Philemon Siclone, der das Grab des Pharaos Kih-Oskh sucht. Dieser lädt ihn ein, sein Begleiter auf der Suche zu sein. Bevor das Schiff allerdings in Port Said anlegt, wird Tim wegen Drogenschmuggel verhaftet: sein Ruf ist ihm mal wieder vorausgeeilt und ein paar zwielichtige Gestalten versuchen, ihm etwas anzuhängen. Er entkommt und begleitet den Professor auf seiner Suche nach dem Grab. Sie werden auch fündig, allerdings stellt sich heraus, dass das Grab nur der Deckmantel für eine Bande von Schmugglern ist. Tim verschlägt es über das Rote Meer bis nach Arabien, und von dort nach Indien, wo er dem Boss der Bande dicht auf den Fersen ist.

Kritik: Hergé hat seine Form gefunden, das merkt man der Geschichte sehr deutlich an. Sie ist nicht mehr episodenhaft, sondern folgt einer durchgehenden Handlung bis zu ihrem Höhepunkt. Außerdem hatte der Zeichner sich mittlerweile ein Archiv zugelegt, aus dem er sich über die Gegenden, in die Tim reiste, informieren konnte. Die Bilder geben daher den Lokalkolorit sehr gut wieder.

Noch ein Talent Hergés kam in der Geschichte zur Ausprägung, nämlich das Potential von Figuren zu erkennen. In “Die Zigarren des Pharaos” tauchen insgesamt vier Personen auf, die Tim von nun an auf seinem weiteren Weg begleiten würden. Die ersten beiden sind Schulze und Schultze (Original: Dupond et Dupont), die allerdings in der ersten schwarz-weißen Version der Geschichte noch X33 und X33a heißen. Sie sind die Polizisten, die Tim am Anfang der Geschichte noch verhaften wollen, sich allerdings in deren Verlauf zu wertvollen Verbündeten wandeln. Hergé erkannt das humoristische Potential des merkwürdigen Zwillingspaares und baute es weiter aus.

Die dritte (oder zweite, wie man es sehen will) Bereicherung von Tims “Familie” ist der wortgewandte portugiesische Händler Oliveira de Figueira, der es schafft, selbst Tim entgegen dessen eigener Aussage lauter nutzlosen Kram anzudrehen. Er wird in einigen Folgeabenteuern dem Reporter zur Seite stehen, wenn es nötig ist.

Zuletzt wird noch ein Mann eingeführt, dessen Rolle zu Anfang noch gar nicht klar ist, und das, obwohl er selbst Boss einer Filmgesellschaft ist: Roberto Rastapopoulos. Er folgt auch einer bekannten Tradition im Geschichtenerzählen, nämlich der Erz-Nemesis. Sherlock Holmes hatte Professor Moriarty, und Tim eben Rastapopoulos – aber das sollte sich erst ergeben.

Zur Übersetzung: Die Übertragung der Namen Dupond und Dupont ins Deutsche mit "Schultze und Schulze" ist - genauso wie die englische Version "Thompson und Thomson" - äußerst gelungen. Die Namen sollen andeuten, dass die beiden, auch wenn sie sich so ähnlich sehen, keine Zwillingsbrüder sind. Man schreibt ihre Namen unterschiedlich, aber aussprechen tut man sie gleich.

Ein paar andere Dinge sind nachträglich bei der Farbbearbeitung des Abenteuers eingefügt worden. So ist in der Neufassung der Kapitän des Schmugglerschiffs, das Tim, Struppi und Professor Siclone in Sarkophage eingesperrt an Bord nimmt, kein geringerer als Allan Thompson, der verbrecherische erste Offizier von Kapitän Haddock in dem Band “Die Krabbe mit den goldenen Scheren”. Zu einem geradezu schwerwiegenden Anachronismus kommt es in einer Szene, in der ein Scheich begeistert ist von Tims Anwesenheit und ihm freudestrahlend erklärt, er lese jedes Abenteuer – und ihm dann einen Tim-Comic präsentiert: “Reiseziel Mond”, der erst 20 Jahre später entstehen sollte. Wir sehen also: George Lucas ist nicht der erste, der sich erlaubte, seine Werke nach langer Zeit nochmal zu korrigieren und anzupassen. Dem heutigen Leser, der die Originalausgabe nicht kennt, fällt das nicht weiter auf (außer eventuell der Tatsache, dass das Cover von “Reiseziel Mond” nicht in die Geschichte passt), und gerade die Szene mit Allan Thompson sorgt für mehr Geschlossenheit innerhalb der Welt von Tim.

Die Geschichte findet schließlich einen Endpunkt, im Gegensatz zu den späteren Doppelbänden, die mitten in der Geschichte abbrachen und auf die Fortsetzung verwiesen. So gibt es auch im Deutschen keinen Hinweis darauf, dass “Die Zigarren des Pharaos” in “Der blaue Lotos” fortgesetzt wird. Das bleibt der französischen Farbausgabe vorbehalten.

“Die Zigarren des Pharao” – ein spannendes Abenteuer, das, wie Rastapopoulos in der Geschichte selbst meint, “die reinste Filmstory” ist. Es hat Atmosphäre und fängt die Schauplätze sehr gut ein. Und Hergé war noch zu weiteren Steigerungen fähig, wie er mit dem nächsten Band bewies.

Donnerstag, 29. September 2011

Tim und Struppi: Tim in Amerika [Rezension]


Nachdem Hergé sich in den Abenteuern “Im Lande der Sowjets” und “Im Kongo”, die sein Reporter Tim zu bestreiten hatte, den Anweisungen seines Herausgebers Wallez beugte, konnte er nun, als er 1931 die Arbeiten an der dritten Geschichte begann endlich dem Reiseziel widmen, das er von Anfang an vorgesehen hatte: Amerika!

Inhalt: Tim reist nach Amerika, genauer gesagt nach Chicago. 1931 ist das Zeitalter der Prohibition und die Stadt fest in der Hand von Gangstergrößen wie Alphonse “Scarface Al” Capone. Nachdem Tim ihm das Diamantengeschäft in Afrika vermasselt hat, passt es dem Verbrecherboss natürlich nicht, dass der Reporter in “seiner” Stadt auftaucht und veranlasst dessen Tod. Von da an wird abwechselnd entweder Tim von den Gangster oder die Gangster von Tim gejagt. Seine Reise führt ihn dabei auch von Chicago in den Westen der USA, wo er auf den Stamm der Schwarzfuß-Indianer trifft.

Kritik: Wieder hat Hergé einen Schritt in seiner Entwicklung gemacht. Vermutlich lag das aber auch mit daran, dass ihm das Thema dieses Abenteuers nicht vorgegeben wurde, sondern am Herzen lag. So gibt er äußerst detailreich und akkurat den Stammesschmuck der Indianer wieder, auf die Tim im Verlauf seines Abenteuers trifft, wirft einen satirischen Blick auf die Gier des weißen Mannes nach Öl und spart dabei nicht mit Seitenhieben auf den ungebremsten Kapitalismus. So ziehen amerikanische Firmen beispielsweise innerhalb eines Tages nach einem Ölfund in einem Indianerreservat eine ganze Stadt hoch – einschließlich Vertreibung der Indianer durch die Nationalgarde. Insofern kann man diese Geschichte als Gegenpol zu “Im Lande der Sowjets” betrachten. Für Hergé waren Kommunismus und Kapitalismus zwei Extreme, die für die Menschen gefährlich waren, seine persönliche Einstellung war irgendwo in der Mitte – und damals noch sehr pro-europäisch.
Die Episodenhaftigkeit nimmt in dieser Geschichte wiederum etwas ab und der rote Faden “Gangsterjagd” tritt etwas mehr hervor, wenngleich auch an ein paar Stelle die Geschichte dadurch ihre Fortsetzung findet, dass einem der gefährlicheren Gangster im letzten Moment die Flucht vor der Polizei gelingt. Irgendwann ist im Album auch nicht mehr klar, warum Tim die Verfolgung der Gangster fortsetzt, jedenfalls nicht für eine Reportage. Überhaupt wird Tim in diesem Album zwar allenthalben als “Reporter” bezeichnet, aber der Tätigkeit eines Reporters geht er nicht nach. Im Gegenteil, mit diesem Band hat endgültig seine zweite Karriere begonnen, die des “Abenteurers”.
Die Geschichte ist noch nicht ganz “rund” und vor allem der Auftritt eines real existierenden Verbrechers wie Al Capone stellt ein Unikum dar. Dieser beschränkt sich jedoch auf den Anfang der Geschichte und man merkt, dass es ihn für den weiteren Fortgang nicht braucht. Hergés Geschichten funktionieren am Besten, wenn er Figuren einführt, die zwar an realen Personen orientiert sind, aber in ihrer Gesamtheit ganz der Phantasie des Autors entspringen. Und tatsächlich ist die Vorstellung, Tim würde nicht den notorischen (fiktiven) Gangsterboss Bobby Smiles in den Westen verfolgen, sondern stattdessen Al Capone, eine furchtbare, da es schlicht nicht funktionieren würde. Immerhin war Capone dafür bekannt, sich soweit aus den Verbrechen seiner “Untergebenen” herauszuhalten, dass man ihm nichts nachweisen konnte. Leider wird der Leser am Ende der Geschichte aber im Unklaren gelassen, ob sich unter den 355 verhafteten Mitgliedern des Chicagoer Gangster-Syndikat auch Capone befindet.

“Tim in Amerika” bildet zusammen mit “Im Lande der Sowjets” und “Im Kongo” sowas wie eine “Anfangstrilogie”. An deren Ende ist Hergé an einem Punkt angekommen, an dem er weiß, wie er seine weiteren Abenteuer gestalten muss. Lediglich ein sehr wichtiger Entwicklungsschritt fehlt noch, den wird er allerdings erst mit den Arbeiten am übernächsten Band machen. “In Amerika” ist ein spannendes Abenteuer mit sozialkritischen Tönen, die allerdings manchmal noch etwas naiv daherkommen.

Mittwoch, 28. September 2011

Tim und Struppi: Tim im Kongo [Rezension]


Nachdem Hergé die Fortsetzungsgeschichte “Tim im Lande der Sowjets” beendet hatte, wollte er mit einer neuen Geschichte einem eigenen Anliegen folgen: Tim sollte nach Amerika reisen, sich für die Rechte der Indianer einsetzen und gegen die organisierte Kriminalität in Chicago kämpfen. Sein Herausgeber Norbert Wallez wollte davon nichts wissen. Die neue Geschichte sollte den Lesern des Petit Vingtième die belgische Kolonie Kongo – vormals Zaire, damals Belgisch-Kongo, heute Demokratische Republik Kongo – näherbringen. Um sich zu informieren, sammelte der Zeichner damals Zeitungen, Magazine und Prospekte, die das Leben in der Kolonie priesen – aber natürlich wieder nur aus einem sehr europäischen Blickwinkel.

Inhalt: Tim reist im Auftrag seiner Zeitung in den Kongo. Doch schon auf der Schifffahrt kommt es zu einem Zwischenfall – jemand ist hinter ihm her und versucht alles mögliche, den Reporter bei einem “Unfall” sterben zu lassen. Sein Auftraggeber ist eine Größe unter den Verbrechern… Nebenbei erleben Tim und Struppi noch eine Reihe anderer Abenteuer.

Kritik: Obwohl dieses Album schon einen Schritt weiter ist als “Im Lande der Sowjets”, hat Hergé die wichtigste Entwicklung zu dem Zeitpunkt noch nicht gemacht, und die für die späteren Alben charakteristisch sein wird: die Authentizität. Er ließ sich zwar von Bildern und Prospekten inspirieren, informierte sich aber nicht wirklich über das Leben in Afrika. Insofern unterliefen ihm ein paar Schnitzer, etwa, als Tim in Afrika einen Kautschukbaum findet oder wenn die Einwohner des Kongo dem Bild entsprechen, das Europäer damals von den “Wilden” hatte: Große Kinder, die Schwierigkeiten mit der Sprache des belgischen “Mutterlandes” haben. Immerhin schickte Hergé Tim nicht freiwillig in den Kongo, was man daran merkt, dass er einen ganz besonderen Hintermann in die Geschichte einbaut: Al Capone, der sich das Geschäft mit Diamanten aus Afrika unter den Nagel reißen will. Damit legte er eine Spur nach Amerika in der Hoffnung, sie bald weiterverfolgen zu dürfen.

Von der Struktur her ist die Geschichte nicht ganz so episodenhaft wie “Im Lande der Sowjets”, und mit den Augen eines heutigen Europäers darf man sie gleich gar nicht lesen. Vieles von dem, was Tim tut, verband man damals mit einer Reise nach Afrika, etwa die Großwildjagd. Aus heutiger Sicht mag es geradezu barbarisch erscheinen, wenn Tim innerhalb eines Albums ein Krokodil, zehn Antilopen, einen Affen, zwei Schlangen, einen Elefanten, einen Büffel und ein Nashorn erlegt, aber in den 1930er Jahren waren das die Art Abenteuer, die man bei einem Afrikaaufenthalt erwartet hätte.

Das einsetzende Umdenken zeigte sich bereits in den kolorierten Ausgaben der 1970er Jahre. Weil die Stelle, an der Tim ein Nashorn in die Luft sprengt, den skandinavischen und deutschen Verlegern zu hart war, wurde sie ersetzt durch eine Szene, in der das Tier am Ende mit dem Leben davonkommt. In der deutschen Fassung wurden außerdem einige nicht ganz so glückliche Anpassungen vorgenommen. Während sich Hergé im Original darum bemühte, Begriffe und Namen aus dem Suaheli zu verwenden, wurden diese aus der deutschen Übersetzung weitgehend entfernt. Der Dorfmagier beispielsweise heißt im Original Muganga (“der, der heilt”), im Deutschen “Tse Tse Gobar”. Der Geheimbund, dessen Mitglieder sich als Leoparden verkleiden und ihre Opfer mit falschen Leopardenkrallen töten, heißt Aniota (und diesen Bund gab es wirklich) im Original, auf Deutsch “Idi Oti”. Offenbar wurde hier der Übersetzer von der Vorstellung geleitet, dass Comics für Kinder auf Biegen und Brechen irgendwie ständig lustig zu sein haben.

Dafür gibt es in diesem Band eine Seltenheit zu sehen: Tim und sein Beruf. Zwar wird stets betont, Tim sei Reporter, aber so richtig zur Geltung kommt das nur in “Im Lande der Sowjets” und “Im Kongo”. In beiden Geschichten sieht man Tim bei der Arbeit, wie er eine Reportage erstellt. Danach kommt das Abenteuer irgendwie immer zu Tim und er wird selbst zum Gegenstand mannigfaltiger Berichterstattung. Tim muss aber ein sehr guter Reporter sein, denn gleich zu Anfang des Abenteuers kommen die Repräsentanten einer amerikanischen, einer britischen und einer portugiesischen Zeitung zu ihm und überbieten sich gegenseitig bei dem Versuch, seine Reportage über den Kongo exklusiv zu erhalten.

Als Fazit kann man sagen, dass “Tim im Kongo” nicht Hergés bestes Abenteuer ist, vor allem, da etliche späterer Geschichten eine gewisse Zeitlosigkeit haben und man auch bei der überarbeiteten – und kolorierten – Fassung nicht alle kolonialherrschaftlichen Anklänge entfernen konnte. Aber es ist ein kurzweiliges Abenteuer, das einen netten Einstieg in die Welt des “pfiffigen Reporters”, wie er eine Zeitlang im Deutschen genannt wurde, bieten kann.

Dienstag, 27. September 2011

Tim und Struppi: Tim im Lande der Sowjets [Rezension]


Zu den Helden meiner Kindheit gehört, wie ich gestern schon schrieb, zweifellos Tim, seines Zeichens Reporter, ständig begleitet von einem weißen Foxterrier namens Struppi. Seine Abenteuer waren willkommene Ablenkung, Inspiration für eigene Geschichten und sie haben mir über so manche Kinderkrankheit hinweg geholfen.


Der Mann, der den gewieften Reporter erfunden hat, war der Belgier Georges Prosper Remi. Eigentlich hatte er selbst den Wunschtraum, Reporter zu werden. Als er in den 1920er Jahren als Hilfskraft bei der belgischen Tageszeitung Le XXe Siècle (Das 20. Jahrhundert) zu arbeiten begann, sah er sich möglicherweise schon auf dem Weg dorthin. Doch sein Talent lag an anderer Stelle, das wurde seinen Vorgesetzten schnell klar: im Zeichnen und im Erfinden von Geschichten. Sein Herausgeber, der katholische geistliche Norbert Wallez, hielt ihn dazu an, für die wöchentliche Jugendbeilage Le petit Vingtième (Das kleine Zwanzigste) eine Fortsetzungsgeschichte zu entwerfen. So trat der Reporter Tintin – Deutsch: Tim – am 10. Januar 1929 zum ersten Mal ans Licht der Öffentlichkeit, in dem Abenteuer “Im Lande der Sowjets”.

Die Handlung: Da tut sich gleich zu Beginn ein Manko der Geschichte auf: “Im Lande der Sowjets” ist Titel und Handlung zugleich. Remi, der sich für seine gezeichneten Geschichten das Pseudonym Hergé (lautmalerische Niederschrift seiner umgedrehten Initialien R.G.) zugelegt hatte, betrat gleich in mehrfacher Hinsicht Neuland. Zum einen waren “Comics” im eigentlichen Sinn in Europa noch nicht so bekannt, zum anderen hatte er zuvor nur kurze Episoden und Geschichten gezeichnet. Der Band beschreibt die Reise Tims in die Sowjetunion der 1920er/1930er Jahre als Aneinanderreihung von Szenen, mal grotesk, mal slapstickhaft und – und das hatte Hergé später selbst zugegeben – äußerst tendenziös. Als Quelle für das Leben im kommunistischen Russland diente ihm nur ein Werk, Moscou sans Voiles (Moskau ohne Schleier), mit dem die Vorurteile des Westens gegen den Osten zementiert wurden. Dass der Herausgeber Norbert Wallez zum rechtskonservativen Lager gehörte und Tims Reise in die Sowjetunion vorgeschlagen hatte, tat sein Übriges dazu. Hergé selbst war von Amerika fasziniert und hätte seinen Reporter lieber dorthin geschickt.

Kritik: Eigentlich kann man das Album nicht wirklich kritisieren, wenn man es als das sieht, was es ist: ein Stück dokumentierte Zeitgeschichte und ein Stück des Lernens für Hergé. Insofern ist es auch nur eingefleischten Fans zum Lesen zu empfehlen, die sich über die Ursprünge von Tim informieren wollen. Das Album wurde – im Gegensatz zu den anderen – nie koloriert und nie überarbeitet. Hergé selbst bezeichnete es später als “Jugendsünde” und war erst unter dem Druck der Öffentlichkeit bereit, das Album 1973 neu zu veröffentlichen. Mit den weiteren Geschichten hatte er gelernt, nicht nur was den Zeichenstil betrifft, sondern auch im Bezug auf die Recherche zu seinen Geschichten. Neben der Tatsache, dass die Handlung keinen roten Faden aufweist, ist die Abhängigkeit von einem einzigen Buch, das Michael Farr in “Auf den Spuren von Tim und Struppi” als “geradezu absurd tendenziös” bezeichnet, die größte Schwäche. Auch was den Realismus betrifft, muss man in diesem Band mehr als einmal ein bis zwei Augen zudrücken. Tim überlebt es beispielsweise, im Eis eingefroren zu werden; an anderer Stelle ist er gezwungen, aus einem Baumstamm einen Propeller für ein Flugzeug zu schnitzen (beziehungsweise deren zwei, denn der erste Propeller hat den falschen Anstellwinkel, so dass sich sein Flugzeug rückwärts bewegt).
Fazit: Ein historisch gesehen interessantes Werk, das einen gewissen Einblick in die Denkweise Mitteleuropas in den 1920er Jahren über die Sowjetunion gibt und anhand dessen man Hergés Entwicklung verfolgen kann. Wer aber die bekannten Abenteuer schätzt, sollte sich eher an eines der anderen Bände halten, von denen hier noch berichtet werden soll.

Ein Wort zur Übersetzung: Als man die Geschichten ins Deutsche übertrug, musste man natürlich ein paar Anpassungen vornehmen. "Tintin" als Name hätte für Deutsche sehr ungewöhnlich geklungen, also kam man auf das prägnantere "Tim". Und hier liegt eine kleine Crux: "Tintin" ist ein Nachname, "Tim" eher ein Vorname. Interessanterweise erfahren wir von Tim in allen Geschichten keinen weiteren Namen. Der Name von Tims Hund lautete im Original "Milou", was der Name einer Jugendliebe des Zeichners Remi war. Somit wird also quasi nahe gelegt, dass Struppi eine Hundedame ist, der deutsche Name aber eher männlichen Hunden gegeben wird.
Der Titel der Comicreihe war am Anfang "Tim, der pfiffige Reporter", bevor er zu "Tim und Struppi" geändert wurde. Für den neuen Film ist das ein Glücksfall, sonst müsste man ihn "Die Abenteuer von Tim, dem pfiffigen Reporter: Das Geheimnis der Einhorn" nennen. Das klingt ein wenig altbacken.
Auf die Übersetzung der anderen Namen werde ich kommen, wenn die Figuren das erste Mal in der Reihe auftauchen.

Montag, 26. September 2011

Die Abenteuer von Tim und Struppi - Helden meiner Kindheit

Heute und die folgenden Tage möchte ich etwas detailierter auf einen Helden meiner Kindheit eingehen, einen unerschrockenen Reporter, den man nur unter dem Namen "Tim" kennt, zumindest im deutschsprachigen Raum. Im Original heißt er "Tintin". Er ist der Hauptheld einer Comicreihe, die der belgische Zeichner Georges Remi erfunden hat.

Meine erste Begegnung mit Tim fand in den 1970er Jahren statt. Seine Abenteuer wurden (und werden) in Deutschland in großformatigen, farbigen Alben verlegt und sind damit bestens dafür geeignet, in eine andere Welt einzutauchen. Tim wurde - neben Asterix - einer meiner großen Kindheitshelden, der mich nachhaltig beeindruckt hat. Er handelte immer nach hohen Idealen, half den Schwachen und Freundschaft und Loyalität waren ihm sehr wichtig. Als ich mein erstes "Tim"-Abenteuer las, war der Serie in gedruckter Form allerdings leider keine Zukunft mehr beschert, da Remi starb, bevor er eine neue Geschichte beenden konnte.

Tims Abenteuer waren nicht nur kurzweilig, sie vermittelten auch etwas. Ich, der Leser, wurde auf Reisen in ferne Länder mitgenommen und durfte erleben, wie der Reporter gegen das Böse kämpfte. Auf diese Weise haben mir die Geschichten auch über so manche Krankheit hinweg geholfen. In einem meiner Alben sind sogar noch Blutspuren zu finden - zu der Zeit, da ich es bekam, verlor ich gerade meine Milchzähne.

Ich kann es nicht anders sagen, Tim wurde so eine Art Vorbild für mich. Das lag ganz in der Absicht des Erfinders, Georges Prosper Remi, Künstlername “Hergé” (der französischen Aussprache seiner umgedrehten Initialen “R.G.” nachempfunden). Er wurde am 22. Mai 1907 in Etterbeek bei Brüssel geboren und wäre damit in diesem Jahr 104 Jahre alt geworden. Mit seiner Arbeit beeinflusste er den europäischen Comic-Stil wie kein Zweiter. Sein Ruhm ging so weit, dass eine belgische Tageszeitung zu Ehren von ihm und seinem Werk zu einem Jahrestag der Tim-Abenteuer in der ganzen Ausgabe kein einziges Photo veröffentliche, sondern ausnahmslos alle Artikel mit Bildern aus den Tim-und-Struppi-Alben versah.

Die Geschichten von Tim und Struppi, deren Originaltitel nur eine der Hauptfiguren erwähnt, nämlich “Tintin” (Tim), berichten von den Abenteuern eines Reporters. Während in den ersten Alben dann auch Tims Recherchen für Reportagen zu dessen Abenteuern führen, klopft in den späteren Werken das Abenteuer selbst an die Tür. Womit sich Tim hier den Lebensunterhalt verdient, wird nicht ausgeführt, aber vielleicht schreibt er ja immer noch eine Kolumne. Das erste Abenteuer “Tim bei den Sowjets” begann am 10. Januar 1929 in der Zeitschrift “Le Petit Vingtième”, einer Beilage für Kinder zur belgischen Tageszeitung “Le XXe Siècle” (Deutsch: “Das 20. Jahrhundert”). Tim wurde so erfolgreich, dass noch 23 Abenteuer folgten, bevor die Karriere des Reporters am 3. März 1983 mit dem Tod ihres Erfinders ein jähes Ende fand und ein unvollendetes Abenteuer zurückließ: “Tim und die Alpha-Kunst” (Original: “Tintin et l’Alph-Art”).
Remi verfügte Testamentarisch, dass die Reihe ohne ihn nicht fortgeführt werden dürfte. Damit kamen keine neuen Abenteuer nach. Lediglich die bekannten Geschichten wurden in Filmen, einer Fernsehserie und diversen Hörspielreihen nacherzählt. Dieses Jahr allerdings wird es eine Art "Neuanfang" geben: In knapp einem Monat kommt der neue Film "Die Abenteuer von Tim und Struppi: Das Geheimnis der Einhorn" in die Kinos. Das ist der Auslöser für mich, einen Blick auf diese Reihe zu werfen, die mich so nachhaltig beeinflusst hat. Wenn Sie "Tim und Struppi" noch nicht kennen, folgen Sie einfach meinen Ausführungen - und vielleicht erkennen Sie, was mich so beeindruckt hat.

Ab heute erscheint bis zur Premiere des neuen Films jeden Tag ein neuer Artikel, der sich einer Geschichte aus der Reihe "Tim und Struppi" widment. Morgen geht es los mit dem allerersten: "Tim im Lande der Sowjets".